Was bedeutet für uns das Herz?

Gedanken von Ralf-Peter Greif und Günter Mahler aus dem Innovationsreport 20 Jahre Herzzentrum Brandenburg vom Oktober 2012
Ein Liebesbrief aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Text ist in gezeichnete Herzen geschrieben.  (Foto: © Bildarchiv Foto Marburg)

Ein Liebesbrief aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Text ist in gezeichnete Herzen geschrieben.
(Foto: © Bildarchiv Foto Marburg)

Es begleitet uns, so lange wir ein- und ausatmen. Meist beachten wir es gar nicht.
Denn es verrichtet seinen Dienst unauffällig. 70-mal pro Minute schlägt das
Herz im Schnitt. Das sind 100.000 Schläge jeden Tag, 37 Millionen Schläge jedes
Jahr und fast drei Milliarden Schläge in einem 75 Jahre dauernden Menschenleben.
So oft zieht sich der Hohlmuskel Herz zusammen und erschlafft wieder.

Das Blut – in der antiken Welt ein Synonym für Leben – wird durch die Adern ge-
pumpt und mit ihm der lebenswichtige Sauerstoff. Er versorgt das Gehirn, die Muskeln,
die Organe und die Zellen. Kaum einer denkt darüber nach – bis sich etwas ändert.
Wir spüren das Herz, wir haben Herzklopfen, wenn etwas nicht stimmt. Dann kann
es bis zum Halse schlagen. Dann kann es für Engegefühl in der Brust und für Atemnot
sorgen. Wir spüren es, wenn es bei einer großen körperlichen Anstrengung nicht mehr
hinterherkommt und die Muskeln unversorgt bleiben.

Wir merken, dass wir da ein Organ in unserer Brust haben, wenn etwas kaputt geht:
eine Aortenklappe, ein Gefäß, das sich verengt. Wir atmen dann schwerer beim Treppensteigen.
Wir haben Mühe, uns zu bücken und die Schuhe zuzubinden. Wir ringen nach
Luft, manchmal haben wir sogar das Gefühl, um unser Leben zu kämpfen. Es ist gut,
wenn das Herz seine Arbeit ohne Störung verrichten kann.

Sitz des Lebens, der Empfindungen und Entscheidungen

Das Herz wird seit jeher als der Sitz des Lebens, der Empfindungen und der existenziellen
Entscheidungen angesehen. Es gibt Menschen, die uns nahe am Herzen sind.

Es gibt Schicksale, die uns zu Herzen gehen. Wir sind herzlich, bisweilen sind wir
auch herzlos. Manche Dinge sind uns eine Herzensangelegenheit. Wir gehen mit Herzblut
an eine Aufgabe heran. Wir haben Herzklopfen, wenn wir uns das erste Mal mit dem
Menschen treffen, den wir lieben. Es gibt so viele Bilder für dieses Organ, das so viel mehr
symbolisiert als einen Muskel, eine Pumpe: „Ich nehme das Herz in die Hand“, „Das Herz
rutscht mir in die Hose“, „Ich schenke Dir mein Herz“.

Egal, wie wir das Herz betrachten – rein wissenschaftlich als Organ, das das Blut in
die Arterien pumpt, oder aber mystisch aufgeladen, weil wir etwas an diesem Organ verorten, das nicht materiell zu fassen ist: Die medizinische Behandlung des Herzens
ist stets etwas Besonderes. Wir berühren – in jedem Sinn – eine sehr sensible Stelle des
menschlichen Lebens.

Symbolik des Herzens. Das Herz ist seit Jahrhunderten ein Symbol für Religiosität, Spiritualität und Liebe. Hier ein „flammendes Herz“, eine Kirchenraumskulptur vom Ende des 18. Jahrhunderts aus Süddeutschland.  (Foto: © Bildarchiv Foto Marburg)

Symbolik des Herzens. Das Herz ist seit Jahrhunderten ein Symbol für Religiosität, Spiritualität und Liebe. Hier ein „flammendes Herz“, eine Kirchenraumskulptur vom Ende des 18. Jahrhunderts aus Süddeutschland.
(Foto: © Bildarchiv Foto Marburg)

Das, was am Herzen geschieht, geht zu Herzen

Das, was im Herzzentrum Brandenburg Gegenstand der Bemühungen, der Sorgen und
der Hoffnungen ist, das ist das Herz des Menschen. Ein Organ, das uns am Leben hält.
Ein Organ, dessen Funktionsausfall zum Ab-Leben, zum Tod führt. Darum ist das Herz
kein Organ wie jedes andere.

Das, was hier am Herzen geschieht, geht zu Herzen: Denen, deren Herz nicht einfach
mehr so mitmacht, wie es soll. Der objektive Eingriff hat untrennbar immer auch eine
subjektive Seite, die innerlich ergreift und unter die Haut geht. Der Umstand, dass das
Herz behandelt wird, rüttelt schließlich an den Grundfesten des Lebens.

Ohne einen Fuß oder eine Niere ist der Mensch durchaus lebensfähig, nicht aber
ohne das Herz. Daher berührt der therapeutische Eingriff am Herzen existenzielle Fragen:
Komme ich hier durch? Komme ich hier wieder raus? Was ist eigentlich wichtig im Leben?

Und wenn dann schließlich das Herz seinen Dienst weiter verrichtet, überkommt
Menschen immer wieder dankbares Staunen – über die Möglichkeiten ärztlichen Handelns,
kranke Herzen zu heilen, und über die neue Chance, mit dem Herzen wieder mit
dabei sein zu können; dort, wo das Leben spielt.

Das, was hier am Herzen geschieht, geht zu Herzen, auch denen, die täglich professionell
damit zu tun haben. Es ist eine große Aufgabe, Menschen das Leben zu erhalten. Es
geht dabei nie allein um den medizinischen Befund, sondern auch um das menschliche
Befinden.

Die Professionellen in Medizin und Pflege sind freilich auch nur Menschen, mitunter
kommen sie an Grenzen ihres Könnens, müssen Unaufhaltbares zulassen.

Aber genauso freuen sie sich bei aller Routine immer noch über das Gelingen und können
hier und da gar vom Wunder sprechen, dass es aller Befürchtung zum Trotz dennoch
gut gegangen ist. Sie zeigen immer wieder Herz, wenn es um das Herz geht.

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