Einem Menschen ins Herz blicken

Der 24. Tag des Herzzentrums am 5. November 2016 gewährte besondere Einblicke in die Herzmedizin. Ein persönlicher Eindruck.

Seit einem Monat arbeite ich als Kommunikationsmanagerin Presse für die Immanuel Diakonie. Zum ersten Mal bin ich beim Tag des Herzzentrums dabei; zum ersten Mal sehe ich bei Eingriffen am Herzen zu. Anders als erwartet, bin ich nicht schockiert von der blutigen Wahrheit, sondern vielmehr ergriffen von der Intimität des Augenblicks, von der Nähe zu dieser Gratwanderung zwischen Leben und Tod.

Auf der riesigen LED-Leinwand in der Aula des Paulus-Praetorius-Gymnasiums in Bernau erscheint ein überlebensgroßes menschliches Herz; ganz deutlich sehen 450 Zuschauer im Saal wie es schlägt. Sie blicken einem Menschen direkt ins Herz, sehen wie sich der Muskel, an dessen Aktivität das Leben dieses 82-jährigen Mannes hängt, pumpend zusammenzieht. Das Herz ist krank und muss dringend repariert werden.

Es ist der 5. November, der 24. Tag des Herzzentrums, an dem sich angesichts des demografischen Wandels alles um das Thema „Wie viel wagen? Der gebrechliche Herzpatient“ dreht. Der Mann bekommt davon nichts mit. Unter Vollnarkose liegt er für einen Herzeingriff auf dem Behandlungstisch im Hybrid-Herzkatheterlabor des Immanuel Klinikums Bernau Herzzentrum Brandenburg. Er hatte zuvor zugestimmt, dass die Besucher, die seinen Namen nicht erfahren werden, bei dem Eingriff zusehen dürfen.

Moderne Medizin kann Patienten von innen so gut wie von außen sehen

Kameras übertragen die Bilder aus dem Labor im Herzzentrum auf eine glasklare Großleinwand in die benachbarte Schule und in den Live-Stream im Internet und auf Facebook, wo weitere Tausende Zuschauer das Geschehen verfolgen. „Mit den modernen bildgebenden Verfahren können wir einen Menschen von innen so gut sehen, wie Sie ihn von außen sehen“, erklärt der Chefarzt der Herzchirurgie, Prof. Dr. med. Johannes Albes, der den Tag mit seinen Mitarbeitern organisiert hat.

Der Patient lässt die Zuschauer an seinem verwundbarsten Moment teilhaben und in sein Innerstes blicken. Und doch werden er und die Zuschauer Fremde für einander bleiben –  vereint allerdings in dem Wissen, dass Gesundheit kostbar und ganz und gar nicht selbstverständlich ist. Das Publikum applaudiert, zollt ihm Respekt für seine Offenheit, auch wenn ihm davon nur nachträglich berichtet werden kann.

Die Klappe zwischen seiner linken Herzkammer und dem linken Vorhof, die Mitralklappe, ist undicht. Der Mann leidet an einer Mitralklappeninsuffizienz. Nicht zum ersten Mal. Denn die aktuelle Klappe ist bereits eine biologische Prothese. Vor 17 Jahren wurde sie ihm in einer Operation am offenen Herzen im Herzzentrum eingesetzt. „Die Klappe hat sehr lange, sehr gut gehalten. Für eine biologische Klappe sind 17 Jahre eine ungewöhnlich lange Zeit“, erklärt Prof. Dr. med. Christian Butter, Chefarzt der Kardiologie, von der Bühne der Aula aus.

Das kann auf Dauer nicht gut gehen

An einem Herzmodell zeigt der Kardiologe die Mitralklappe. Sie heißt so, weil sie mit ihren beiden Segeln einer Bischofsmütze, der Mitra, ähnelt. Im farblich markierten Ultraschallbild auf der Leinwand ist deutlich zu sehen, wie das grün dargestellte sauerstoffangereicherte Blut immer wieder in den Vorhof zurückfließt, aus dem es gerade erst herausgepumpt wurde. Auch dem Laien wird sofort klar: Das kann auf Dauer nicht gut gehen. „Der Patient kam mit akuter Atemnot zu uns ins Herzzentrum“, erläutert Professor Butter die Auswirkungen.

Weil der Patient inzwischen mehr als 80 Jahre alt ist, wäre eine erneute offene OP an der Herz-Lungen-Maschine für ihn sehr belastend und gefährlich. Er braucht ein schonendes Verfahren, in seinem Fall eine Transkatheterprozedur. „Die Ärzte werden eine eigentlich für die Aortenklappe bestimmte Klappe, die jetzt in einem bleistiftdicken Katheter zusammengefaltet ist, in die Mitralprothese schieben“, erklärt Professor Butter. Valve in Valve, zu Deutsch Klappe in Klappe, heißt diese noch selten angewandte und komplizierte Technik.

Die Zuschauer verfolgen mit, wie Kardiologe Frank Hölschermann durch einen Schnitt im Brustkorb eine Katheterführung über die Herzspitze in das schlagende Herz bis zur Mitralklappenprothese schiebt. Durch den Katheter führt er eine auf einem Draht sitzende krönchenförmige, 29 Millimeter große Aortenklappe aus Rindergewebe bis kurz vor den Verankerungsring der Mitralklappenprothese, in den er die neue Klappe platzieren will.

Dem Chefarzt fällt ein Stein vom Herzen

„Der erste ‚Schuss‘ muss sitzen“, betont Professor Butter. Aber am pulsierenden Herzen ist diese feinste Präzisionsarbeit nicht zu leisten. „Das Team wird über den Herzschrittmacher, den ein Herzchirurg vorher angebracht hat, das Herz für einen Augenblick sehr stark stimulieren. Es schlägt dann so schnell, dass damit kurz ein Herzstillstand simuliert wird. In diesem Moment muss die Platzierung gelingen.“ Angespannte Stille in der Aula. Kardiologe Hölschermann zielt, schiebt – und trifft.

„Da fällt mir ein Stein vom Herzen“, sagt Professor Butter erleichtert. Erstmals ist ihm eine Anspannung anzumerken. So routiniert und geschickt der Chefarzt und sein Team auch Herzen reparieren, so bewusst bleibt ihnen doch immer, wie hochsensibel ihre Arbeit ist, an deren Erfolg Menschenleben hängen.

Der Eingriff ist gelungen. Die reparierte Klappe hält dicht, das Herz schlägt wieder ruhig. Auf dem Ultraschallbild bewegen sich die grün markierten Flächen nur noch in Richtung Hauptschlagader, der Rückfluss in den Vorhof ist gestoppt. Der Körper wird wieder mit ausreichend sauerstoffreichem Blut versorgt. Der Mann kann durchatmen.

Geschenkte Lebenszeit

Auch den Besuchern des Tags des Herzzentrums geht der Blick ins Herz eines Menschen unter die Haut. Es ist bereits der zweite Eingriff, den sie an diesem Tag miterleben. Zuvor hatte Professor Albes eine Operation an einer stark verengten Aortenklappenöffnung moderiert. Die Zuschauer konnten auf der Übertragungswand die dicke Kalkschicht, die das Blut gefährlich staute, mit eigenen Augen erkennen. Der Oberarzt der Herzchirurgie, Dr. Thomas Claus, entfernte den Kalk und ersetzte die Aortenklappe durch eine Prothese. Alle Zuschauer konnten sehen: Das ist geschenkte Lebenszeit.

Der 24. Tag des Herzzentrums erinnert auch daran, wie viel jeder einzelne für seine Gesundheit tun kann, um Herzkrankheiten und Gebrechlichkeit vorzubeugen – und dass im Falle einer Herzkrankheit auch ältere und gebrechliche Menschen im Herzzentrum Brandenburg sehr gut mit schonenden Therapien behandelt werden können.

Die Gesundheitsministerin Brandenburgs, Diana Golze, ist auch zu Gast und bestätigt, dass das Herzzentrum Brandenburg die kardiochirurgische Versorgung in der Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg auf hohem Niveau mit sichert und mit seinen Veranstaltungen eine wichtige Rolle in der Gesundheitsaufklärung leistet.

Die Ewigkeit muss warten

Eine Erfahrung, die auch das Ehepaar Margit und Klaus Schmidt weitergeben kann. Es ist zum zweiten Mal zum Tag des Herzzentrums aus Berlin angereist. „Die übertragenen Operationen sind einmalig. Es ist sehr interessant zu sehen, wie aufwändig und exakt die Operateure arbeiten müssen“, sagt Margit Schmidt. Ihr Mann, selbst Herzpatient, ergänzt: „Wenn ich selber mal eine Operation bräuchte, würde ich hierher kommen. Ich habe sehr viel Vertrauen in das Herzzentrum gewonnen. Eine gute Veranstaltung, ich werde wieder kommen.“

Zehn Tage später, am Dienstag, den 15. November, hat sich der Patient von dem Kathetereingriff erholt. Die Wunde am Brustkorb heilt gut, das Herz arbeitet wieder kraftvoll. Der Mann kann nach Hause zurückkehren.

In wenigen Tagen wird in vielen Gottesdiensten zum Ende des Kirchenjahres am Ewigkeitssonntag der Verstorbenen gedacht werden. Dass für den 82-Jährigen niemand eine Kerze entzünden wird, verdanken er und seine Angehörigen der modernen Herzmedizin. Sie und die Zuschauer vom 24. Tag des Herzzentrums können heute an einen Lebenden denken. Die Ewigkeit muss warten.

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